In meinem letzten Seminar zum leserorientierten Schreiben sagte ein Teilnehmer am Ende auf die Frage, was er denn konkret mitnehme: „Ich habe heute verstanden, wie sehr es beim Schreiben auf Nuancen ankommt.“
Das stimmt! Ein Beispiel dafür ist die Wortstellung. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass diese im Deutschen ganz unterschiedlich sein kann? Sie können die übliche Wortfolge von Subjekt – Prädikat – Objekt auflösen und (fast) so zusammenpuzzeln wie Sie mögen. Und damit verschiedene Wirkungen erzielen.
Die deutsche Wortfolge ergibt sich daraus, welches Wort Sie betonen wollen. Dieses Wort platzieren Sie an eine exponierte Stelle. Kurz: Nehmen Sie das wichtigste Wort nach vorn (oder nach hinten).
Im ersten Satz stehen die Wörter in der üblichen Reihenfolge Subjekt – Prädikat – Objekt. Kein Wort ist besonders betont. Im zweiten Satz ist die Wortstellung hingegen umgedreht. Damit betonen Sie das Wort „Auto“ – und verstärken so den Gegensatz zur Bahn. Diese Wirkung wird noch größer, indem ich das „lieber“ an die erste Stelle des zweiten Teilsatzes packe und somit betone.
Auch in dem oberen Absatz können Sie sehen, wie sich durch eine veränderte Wortstellung unterschiedliche Dinge betonen lassen. Ich hätte nämlich schreiben können: Im ersten Satz stehen die Wörter in der üblichen Reihenfolge (…). Hingegen ist im zweiten Satz die Wortstellung umgedreht. Indem ich das „hingegen“ nach vorne nehme, betone ich den Gegensatz. Ich habe mich aber dafür entschieden, die Reihenfolge der Sätze zu betonen, damit Sie meine Erläuterung leichter nachvollziehen können.
Auf die Frage „Hat Ihr Nachbar Enkel?“ kann die Antwort lauten:
„Er hat eine Enkelin. Sie heißt Henriette.“ oder „Eine Enkelin hat er. Henriette heißt sie.“
Am besten, Sie lesen das einmal laut. Dann hören Sie, wie sich die Betonung unterscheidet. In der zweiten Version heben Sie stärker hervor, dass der Nachbar eine Enkelin (also ein Mädchen) hat. Gleichzeitig klingt der Satz, in dem Sie das wesentliche Wort an den Anfang setzen, kraftvoller, knackiger, lebendiger.
Wie sieht das denn bei längeren und komplexeren Sätzen aus? Im Prinzip genauso.
Die Politiker sind sich in der Beschreibung dieses Problems weitgehend einig, aber sie diskutieren nach wie vor kontrovers über die Lösungsansätze.
Die wesentliche Aussage des Satzes besteht darin, den Gegensatz zu verdeutlichen: zwischen der Einigkeit bei der Beschreibung und der Uneinigkeit bei den Lösungsansätzen. Die wichtigen Wörter sind also „Beschreibung“ und „Lösungsansätze“ – und nicht „die Politiker“. Deshalb kommt die Botschaft deutlicher zum Tragen, wenn Sie beide Wörter nach vorne ziehen:
In der Beschreibung dieses Problems sind sich die Politiker weitgehend einig, die Lösungsansätze aber werden nach wie vor kontrovers diskutiert.
Erstaunlich ist auch, wie Sie durch das Verschieben von Wörtern den Inhalt der Aussage verändern können. (Haben Sie gemerkt: Ich habe „erstaunlich“ an den Anfang gesetzt – hätte auch schreiben können: „Es ist auch erstaunlich, …“). In den folgenden drei Sätzen habe ich nur das Wort „auch“ verschoben und damit einen anderen Sinn erzeugt.
Was macht das Wörtchen „auch“? Es lenkt die Betonung auf das nachfolgende Wort. Schauen wir uns dies Satz für Satz an:
Das funktioniert übrigens auch mit „selbst“ oder „sogar“. Beim Schreiben können Sie also schon bestimmen, was der Leser, die Leserin beim Lesen im Satz betont – und somit als wichtiger ansieht.
Seien sie mutig beim Schreiben und experimentieren Sie ein bisschen mit der Wortstellung. Fragen Sie sich: Was will ich betonen – und nehmen Sie es nach vorne. Sie werden merken, das gibt Ihrem Text mehr Ausdruckskraft.
Sie haben Anregungen, Fragen oder Beispiele? Schreiben Sie uns, wir freuen uns über Ihr Feedback.
Herzliche Grüße
Franziska Nauck und Nadja Buoyardane