Kommen Sie manchmal begeistert und voll mit neuem Wissen aus einem Seminar; hochmotiviert, ab morgen ganz viel besser zu machen? Doch dann an Ihrem Arbeitsplatz … schlägt die Gewohnheit zu und all das schöne neue Wissen ist vergessen?
Seminare, Workshops und Co machen nur einen Anteil von etwa zehn Prozent an beruflichen Lernprozessen aus. Sie sind wichtig, da sie Wissen und Handwerkszeuge vermitteln, Impulse geben und den Blick schärfen. Erst durch das Einüben im Alltag aber verinnerlichen wir das Gelernte. Und das ist die Herausforderung.
Denn das Wissen und die neuen Methoden aus dem Seminar sind noch nicht tief genug verankert, um automatisch abgerufen zu werden. Wir müssen uns noch aktiv daran erinnern. Doch zurück in unserer gewohnten Umgebung, unter Stress und Druck, „vergessen“ wir dies häufig – schließlich ist dort noch alles beim Alten.
Beispiel Schreibseminar. Allein die Rückkehr in die gewohnten Bedingungen erschwert die Veränderung. Das Telefon klingelt noch genauso häufig wie vorher, Kolleg:innen gehen wie immer ein und aus, Ihre Chefin erwartet weiterhin ständige Erreichbarkeit und Sie können genau wie vor dem Seminar kaum einmal mehr als fünfzehn Minuten am Stück konzentriert schreiben.
Sie geraten unter Druck – „vergessen“ das neu Gelernte und greifen auf die Verhaltensweisen zurück, die Ihnen bisher durch den Arbeitsalltag geholfen haben. Dadurch „vergessen“ Sie das Neue noch etwas mehr und … ein Teufelskreis.
Damit Neues gelingt, muss sich Altes verändern. Besprechen Sie dies mit Ihren Vorgesetzten und Kolleg:innen. Vielleicht können Sie sogar in der nächsten Teamsitzung einige Erkenntnisse aus dem Seminar vorstellen.
Sprechen Sie darüber, was Sie gelernt haben, was Sie umsetzen möchten, und dass sich dafür (vielleicht) auch erst einiges an Ihren Arbeitsbedingungen ändern muss. Nutzen Sie die Gelegenheit für konkrete Vorschläge, wie die Schreibkultur in Ihrem Team sich insgesamt verbessern lässt: zum Beispiel mehr Ruhe, weniger Unterbrechungen, frühes kollegiales Textfeedback einführen und und und.
Sobald Sie an diesen äußeren Bedingungen und an den Prozessen etwas geändert haben, wird es Ihnen leichter fallen, Ihr Schreiben zu verändern.
(Darüber was Sie tun können, um konzentrierter im Büro zu arbeiten, haben wir schon einmal geschrieben.)
Nach ein oder zwei Tagen Seminar fühlen sich die meisten Teilnehmenden etwas überwältigt vom vielen Input.
Wählen Sie daher zuerst einmal nur drei Punkte aus, die Sie ganz konkret angehen wollen, zum Beispiel: den Text anhand der unausgesprochenen Leserfragen strukturieren, kürzere Sätze schreiben und weniger Nominalstil verwenden.
Denn es geht nicht darum, ab sofort ALLES umzukrempeln, JEDE gelernte Technik IMMER anzuwenden und JEDE Stilregel IMMER zu beachten. Fangen Sie nur mit diesen drei Dingen an. Denn wer zu viel auf einmal ändern will, überfordert sich – und setzt am Ende nichts richtig um.
Manchmal passiert es: Genau das, was Sie im Seminar gelernt und bewusst anders gemacht haben, wird Ihnen wieder „zurückkorrigiert“. Da werden aktive Formulierungen und kurze Sätze angestrichen, da wird wieder verlangt, dass Sie im Nominalstil und in langen verschachtelten Sätzen schreiben.
Oftmals sind es sogar Vorgesetzte, die genau diese Dinge wieder in den Text hineinkorrigieren. Denn schließlich klinge es so ja viel seriöser und gewichtiger und außerdem habe man schon immer so formuliert. – Kommt Ihnen das bekannt vor? 😉
Geben Sie hier nicht kampflos klein bei. Argumentieren Sie! (Vielleicht wurden Sie ja sogar genau von dieser Person ins Seminar geschickt?) Suchen Sie das Gespräch. Sicher, das kann mühsam sein und vielleicht Ihr Gegenüber sogar etwas nerven, da es auch für ihn oder sie Veränderung und damit Mühe bedeutet. Aber die Chance, dass Sie die Person zumindest zum Nachdenken anregen, ist groß. Und dies ist immerhin der erste Schritt zu echter Veränderung.
Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Lerntransfer nach Seminaren gemacht? Schreiben Sie uns! Wir sind gespannt auf Ihre Geschichte.
Herzlichst
Franziska Nauck und Nadja Buoyardane