Sicher haben Sie das – leicht abgewandelte – Zitat erkannt. Vor zwei Wochen jährte sich die missglückte Mission der Apollo 13 zum fünfzigsten Mal. Der Satz „Houston, wir haben Problem“ ist – vor allem seit dem Film „Apollo 13“ – ein geflügeltes Wort.
Doch warum beginnen wir damit unseren Newsletter? Weil in dem Zitat eines der Tabu-Wörter unserer heutigen Unternehmenskommunikation vorkommt: „Problem“. Wir alle haben ja heute keine Probleme mehr, sondern wir stehen nur noch vor „Herausforderungen“.
Apollo 13: „Ich glaube, wir hatten hier ein Problem.“
Bodenstation: „Hier ist Houston. Wiederholen Sie das bitte.“
Apollo 13: „Houston, wir hatten ein Problem. Es gab eine Hauptbus-Unterspannung.“
Bodenstation: „Nein. Nein. So nicht. Wie sagen wir das?“
Apollo 13: „Houston, wir haben hier ein Problem!“
Bodenstation: „‘Problem‘ klingt immer so negativ. Also, wie sagen wir das?“
Apollo 13: „Houston, wir, äh, wir – … also, hören Sie, wir haben hier ein verdammt großes Problem. Die *pieeep* ist gerade richtig am Dampf- …“
Bodenstation (unterbricht): „Sie müssen echt an Ihrer Einstellung arbeiten. Sie ziehen die Stimmung von allen herunter. Also, wie sagen wir es?“
Apollo 13: „Houston, wir, äh, wir – … wir stehen vor einer … Herausforderung.
Bodenstation: „Also bitte, geht doch. Immer lösungsorientiert denken. – Sagen Sie Bescheid, wenn Sie wissen, wie Sie die Herausforderung angehen können. Bis dahin: Immer dran denken, Herausforderungen sind zum Wachsen da. Ciao, ciao und over.“
Problem vs. Herausforderungen. Diese Paarung hat ihren Platz auf jedem unternehmerischen Positivator-Bingo-Zettel. Herausforderung soll, im Gegensatz zu Problem, positiv und anpackend klingen. Dynamisch soll die Lösung angegangen werden, etwas überwunden werden.
Doch was ist, wenn es ein echtes Problem gibt? Wie aktuell zum Beispiel durch Corona?
Wir finden, es ist wieder an der Zeit, Probleme als solche zu benennen. Auch in der Unternehmenskommunikation.
Indem wir nur noch von Herausforderungen sprechen, verniedlichen wir echte Probleme. Das ist intransparent und unehrlich. Wenn wir hingegen ein Problem als ein solches (wieder) anerkennen, machen wir uns menschlich und authentisch – auch als Unternehmen.
Deshalb lesen Sie hier unser Plädoyer dafür, die Dinge beim Namen zu nennen:
Ja. Das tun wir. Allerdings bitte nur dann, wenn das glaubhaft möglich ist.
Ein Beispiel: Jemand bittet Sie um den Rabatt für Studierende, ist aber an gar keiner Uni eingeschrieben. Anstatt verneinend zu antworten, „Da Sie nicht studieren, können wir Ihnen keinen Studierendenrabatt gewähren“, schreiben Sie hier positiv, „Sobald Sie uns einen Studierendennachweis vorlegen, gewähren wir Ihnen gern den Rabatt“. Das ist einfach nur freundlich.
Doch was ist der Unterschied zu „Problem“ vs. „Herausforderung“?
In dem Beispiel geht es um eine Bitte, die Sie nicht erfüllen können (oder wollen). Der Zusammenhang zwischen „studieren“ und „den Rabatt für Studierende bekommen“, ist glasklar, linear und kausal. So verschleiern Sie nicht etwas Negatives als positiv, sondern legen die Tatsachen dar, wie sie sind – nur eben aus der positiven Perspektive: Sobald der Studiennachweis vorliegt, gibt es Rabatt, fertig. Da gibt es kein existenzielles Problem, das Sie nur nicht als solches benennen bzw. abschwächen wollen.
Echte Probleme können Sie drehen und wenden, wie Sie wollen – es wird Ihnen schwerfallen, glaubhaft (!) positiv zu formulieren. Also lassen Sie es. Denn Ihre Leser merken, wenn Sie krampfhaft um den heißen Brei herumschreiben.
Ein Beispiel: Die Covid-Krise stellt uns vor enorme Herausforderungen. So werden wir in den kommenden Wochen den Personalbestand der einzelnen Abteilungen dem geringeren Arbeitsaufkommen anpassen müssen.
Übersetzt heißt das nichts anderes als „Wir werden Mitarbeiter:innen entlassen müssen“. Und egal, wie sehr Sie sich bemühen, dies nicht offen auszusprechen oder positiv zu formulieren: Die Botschaft kommt trotzdem an. Allerdings wirkt sie durch den verbalen Verschleierungsversuch auf die Belegschaft wenig vertrauenserweckend. Alle werden sich fragen, was sonst noch ungenau kommuniziert wird.
Wenn Menschen aber das Gefühl haben, etwas wird verschwiegen, werden sie unsicher. Hier geschieht also durch das bewusste Vermeiden, etwas Negatives auch als solches anzusprechen, erst recht etwas Negatives: Vertrauen wird verspielt.
Gerade jetzt in der Krise ist es wichtig, offen zu kommunizieren und die Dinge, die alle sowieso erkennen, offen aus- und anzusprechen.
Je konkreter und ehrlicher Sie das tun, umso menschlicher und vertrauenswürdiger wirken Sie und umso eher sind die anderen bereit, sich darauf einzulassen. So kann das klingen:
Unsere Unternehmenslage sieht so aus: Wir können dieser Situation nur noch bis Juli so standhalten. Daher werden wir zum Juli jede Abteilung um zwei Arbeitskräfte reduzieren müssen. Es sei denn, wir finden gemeinsam eine Lösung, die uns alle trägt. Haben Sie Ideen und Vorschläge? Dann melden Sie sich jederzeit bei mir. Ich bin dankbar für jeden Ansatz, mit dem wir Entlassungen vermeiden können.
Wenn Sie Probleme als Probleme benennen, können Sie ganz offen um Lösungsvorschläge bitten. Wer immer so tut, als hätte er oder sie alles im Griff, verspielt die Chance, andere in die Lösung einzubeziehen. Wenn Sie nur eine „Herausforderung“ zu meistern haben, schaffen Sie das in den Augen Ihrer Adressaten bestimmt allein. Wenn Sie aber Ihren Mitarbeiter:innen, Kolleg:innen oder Kund:innen offen sagen, dass Sie gerade um Ihre wirtschaftliche Existenz kämpfen, also ein echtes Problem haben, werden diese mit Ihnen gemeinsam nach einer Lösung suchen.
Welche anderen Beschönigungen gehen Ihnen auf die Nerven? Schreiben Sie uns, wir sind gespannt!
Herzlichst,
Franziska Nauck und Nadja Buoyardane