Neulich fuhr ich, Franziska, mit dem Fahrrad ein Stückchen auf dem Gehweg; dieser ist gerade breit genug für zwei, wird aber auch wenig genutzt.
Nun kamen mir ausgerechnet zwei Leute entgegen, nebeneinander. Nur widerwillig schob sich die eine im letzten Moment vor ihre Begleiterin und sagte zu mir in pampigem Ton: „Das hier ist aber ein Bürgersteig. Für Radfahrer ist die Straße da.“
Und ich? Spürte sofort Widerstand – obwohl sie ja recht hatte. Daher ging ich gar nicht darauf ein, persiflierte ihren Tonfall nur halblaut mit einem „Nänänänänää“-Singsang und fuhr weiter.
Die Szene blieb mir im Kopf (die Frau hatte ja, wie gesagt, recht). Ich fragte mich, wie hätte ich, statt mich nur über ihre Empörung lustig zu machen, die Fußgängerin davon überzeugen können, dass mein Verhalten zwar regelwidrig war, es aber wirklich einen guten Grund dafür gab: Todesangst.
Gut, ich übertreibe ein wenig. Aber die Ecke ist wirklich gefährlich: kein Fahrradweg weit und breit, stark befahren, unübersichtlich durch Kurven und parkende Autos. Dazu hohe Bordsteine, kaum Absenkungen.
Spätestens hinter der letzten Kurve, wo die Straße über die Autobahn führt, haben Radfahrer:innen im Zweifel keine Chance.
So habe ich die letzte Möglichkeit genutzt, auf den für mich sichereren Gehweg auszuweichen.
Wenn wir kommunizieren, geht es häufig darum, die Adressierten zu überzeugen. Der Fehler, den wir jedoch immer wieder machen, ist, dass wir sie eher überreden, und das ganz wörtlich gemeint. Wir texten sie mit unseren superrationalen, unbestechlichen Argumenten zu.
Und wundern uns, wenn wir auf Widerstand stoßen.
Abgesehen davon, dass sich Fakten nie vollkommen neutral vermitteln und verstehen lassen (siehe unseren Newsletter zum Thema „Framing“ vom 1. Juli 2020), müssen wir beim Überzeugen einen Aspekt berücksichtigen:
die Entscheidungsfreiheit des Individuums.
Sie ist uns heilig. Und wenn wir das Gefühl haben, diese wird angegriffen mit „Du musst …“ oder „Du solltest besser“-Sätzen, dann reagieren wir mit Widerstand – selbst wenn wir schon ahnen, dass unser Gegenüber recht haben könnte. Der Fachbegriff dafür heißt „Reaktanz“.
Es ist wie bei einem Kleinkind: Ich füttere es – es will den Löffel aber selber führen, egal wie viel daneben geht. Ich ziehe ihm die Schuhe an – es will das aber selber machen, egal wie viel Mühe es kostet.
Hans Eicher zeigt uns dazu einige Strategien in seinem Buch „Die verblüffende Macht der Sprache – Was Sie mit Worten auslösen oder verhindern und was Ihr Sprachverhalten verrät“ (Wiesbaden 2018). Er bedient sich dabei mehrerer Grundsätze aus der Diplomatie.
Drei davon stellen wir Ihnen heute kurz vor, und ein vierter kommt noch oben drauf:
Um zu überzeugen, reicht es nicht, nur die Sachebene zu betrachten (das haben Sie schon mal gehört, oder?). Ich muss auf die Beziehungsebene und das heißt: Vertrauen schaffen.
Häufig versteifen wir uns in Diskussionen auf die Unterschiede unserer Ansichten. Stattdessen sollten wir zunächst schauen, wo wir uns einig sind. Dies bildet einen guten Ausgangspunkt für die weitere Diskussion.
Der Effekt: Mein Gesprächspartner fühlt sich gesehen und wertgeschätzt. Er:sie fühlt sich wohl und verbindet dieses positive Gefühl unbewusst mit mir. So entsteht Vertrauen – und die Bereitschaft, sich für neue Sichtweisen zu öffnen.
Hier ein paar einfache Formulierungen, mit denen Ihnen dies gelingt:
Häufig hören wir, wir sollten Kritik nicht persönlich nehmen. Es gehe nur um die Arbeit an der Sache.
Aber ganz ehrlich, wenn ich zu Ihnen sage: „Ihr Text ist zu lang und umständlich formuliert“, schaffen Sie es, das unabhängig von Ihrer Person und Ihren Fähigkeiten aufzufassen? Wenn ja, herzlichen Glückwunsch!
Realistischer ist es, damit zu rechnen, dass negative Bewertungen in jedem Fall zu Widerstand führen, egal ob sie sich nur auf die Sache beziehen.
Wir können dies vermeiden, indem wir darauf verzichten zu benennen, wie schlecht etwas im Moment ist. Stattdessen können wir prozess- und lösungsorientiert formulieren. Ein paar Beispiele:
Sicher, auch hier wird die angesprochene Person vielleicht denken, aha, so toll war mein Vorschlag jetzt also nicht. Aber indem wir uns nicht am Status quo festbeißen, halten wir die Tür zur weiteren Diskussion offen.
Auch kann unser Gegenüber sich so weiterhin einbringen und vielleicht neue, bessere Ideen entwickeln. Die Aufmerksamkeit wird auf die gemeinsame Arbeit an einer Sache gelenkt und bleibt nicht an einem noch nicht optimalen Zwischenergebnis hängen.
Schön und gut, werden Sie vielleicht sagen, aber was hat das alles mit der Bürgersteiggeschichte vom Anfang zu tun?
Dazu unser dritter Tipp:
Wäre ich abgestiegen und hätte gesagt: Entschuldigen Sie bitte, Sie haben natürlich recht. Aber darf ich Ihnen kurz erläutern, warum ich hier auf dem Bürgersteig fahre? Und ich hätte ihr dann all meine Gründe von oben aufgezählt – hätte sie meine Entscheidung verstanden?
Vielleicht hätte sie einfach abgewinkt und wäre grummelnd weiter gegangen. Vielleicht aber hätte sie, überrascht von meinem „Sie haben recht“, mir aber auch zugehört. Und vielleicht wären wir ins Gespräch gekommen über die veralteten Verkehrswege, über die fahrrad- und fußgängerunfreundliche Ecke dort und über unsere Wünsche für ein besseres Miteinander im Straßenverkehr.
Und das macht doch den entscheidenden Unterschied aus: ob ich einfach jemandem meine Ansicht „vor den Latz knalle“ oder meine Beweggründe sichtbar mache, zum Beispiel mit diesen Formulierungen:
Umgekehrt fragen Sie einfach öfter nach, wenn jemand versucht, Sie zu überzeugen, Ihnen aber seine Beweggründe nicht von selbst nennt: „Ich wüsste gerne, wie Sie zu Ihrer Position gekommen sind, damit ich Sie besser verstehe.“
Wie oft erlebe ich das: Tief im Inneren weiß ich schon, dass die Person, die mich von etwas überzeugen will, recht hat. Aber der Prozess, dies für mich selbst anzunehmen, mit allen Konsequenzen, dauert eben ein bisschen.
Während ich mich nach außen noch vehement dagegen sträube, rattert es schon ganz heftig in meinem Kopf und ich habe mich längst auf den Weg zum Einlenken gemacht …
Und wodurch lassen Sie sich überzeugen? Schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen.
Herzlichst
Franziska Nauck und Nadja Buoyardane
PS:
Ach ja, am 22. April 2021 ist übrigens „Tag der Erde“, Motto: Jeder Bissen zählt. Schütze was du isst – schütze unsere Erde. Auch ein viel diskutiertes Thema, zum Beispiel zwischen Menschen, die bei Bananen aus Ecuador vor allem die CO2-Bilanz sehen, und anderen, die einfach die leckere Frucht genießen wollen; zwischen denen, die versuchen, ihre Ernährung konsequent nach ökologischen Gesichtspunkten auszurichten, und denen, die nicht mit erhobenem Zeigefinger gesagt bekommen wollen, was sie essen dürfen und was nicht.
Wie auch immer Sie dazu stehen: Vielleicht helfen Ihnen unsere vier Tipps, sich der „anderen Seite“ zu öffnen, Gemeinsamkeiten zu erkennen und miteinander ins Gespräch zu kommen.
Dann wäre die Grundlage für eine gelingende Kommunikation geschaffen – und was wollen wir mehr?