Haben Sie sich auch manchmal gefragt, warum andere Menschen aus den exakt gleichen Fakten komplett andere Schlüsse ziehen als Sie?
Fragen Sie sich dann, warum Ihre Mitmenschen die offensichtlichen Tatsachen nicht sehen (wollen) und nicht das tun, was diese doch so offensichtlich erfordern? Und: Warum die anderen überhaupt etwas anderes sehen können als Sie? Es sind doch schließlich belegbare Fakten, über die Sie sprechen bzw. schreiben, oder?
Die Antwort darauf ist ernüchternd und hilfreich zugleich: Sie sprechen zwar über Fakten, doch es ist schlicht nicht möglich – weder im Dialog noch in Texten –, über Fakten neutral, objektiv und wertfrei zu kommunizieren.
Achtung, wir werden jetzt etwas wissenschaftlich: Weil jede Botschaft vom Empfänger, von der Empfängerin vor dem Hintergrund ihrer körperlichen, sprachlichen und kulturellen Erfahrungen interpretiert und verstanden wird.
Das heißt: Jeder Mensch macht im Leben unterschiedliche Erfahrungen, die er:sie abspeichert und beim nächsten Mal in einer ähnlichen Situation wieder erinnert.
Diese Erfahrungen bilden den Rahmen, innerhalb dessen eine Botschaft gedeutet wird: den Deutungsrahmen. Rahmen heißt auf Englisch „Frame“ – Man spricht hier deshalb auch von Framing.
Wir schreiben heute einmal darüber, was das für Ihre Kommunikation bedeutet.
Nach der Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling verleihen erst diese Frames, also die Deutungsrahmen, einzelnen Wörtern Bedeutung.
Anders ausgedrückt: Wörter haben nicht für alle Menschen die gleiche Bedeutung, selbst wenn sie die gleiche Sprache sprechen. Die Wörter werden auf Basis unserer Erfahrungen und der damit verbundenen Gefühle interpretiert und dann mit Bedeutung aufgeladen.
Themen werden also nie in einem luftleeren Raum diskutiert, sondern wir beziehen unsere Positionen immer eingebettet in unsere bisherigen Erfahrungen.
Bestimmte Wörter aktivieren dabei jeweils einen bestimmten Interpretationsrahmen, also einen bestimmten Frame. Der Frame ist, aufgrund der jeweiligen Erfahrungen, die damit verbunden werden, auch immer mit bestimmten Gefühlen verbunden.
Ein konkretes Beispiel, damit Sie besser verstehen, wie sich das auswirkt: das Thema Tempolimit.
Ein Teil der Menschen verbindet schnelles Fahren mit dem Deutungsrahmen „persönliche Freiheit“ oder „Spaß“. Das Wort „Limit“ steht dieser Freiheit entgegen und erzeugt deshalb negative Gefühle, wenn nicht gar Schmerz. Durch die Forderung nach einer generellen Geschwindigkeitsbegrenzung fühlen sie sich deshalb in ihrer Freiheit beschnitten (und das ohne Betäubung). Entsprechend heftig sind sie dagegen.
Der andere Teil hingegen verbindet schnelles Fahren mit „Unfallgefahr“ oder „CO2-Ausstoß“. Das Wort „Tempolimit“ aktiviert daher bei ihnen den Frame „Sicherheit“ oder „CO2 reduzieren“ – damit verbinden sich bei ihnen automatisch positive Gefühle.
Daher geht es bei der Debatte um ein Tempolimit nicht nur um Unfallstatistiken, CO2-Messung oder Stauforschung, sondern immer auch um Gefühle.
Es geht – im Dialog oder Ihren Texten – also nie nur um „Fakten“. Sondern die Interpretation und das Verstehen werden immer schon durch das Wertesystem des Gegenüber, durch die aktivierten Frames mitbestimmt.
In politischen Debatten, genauso wie im Marketing, versucht man, diesen Effekt zu nutzen, um die eigenen Botschaften wirkungsvoll zu platzieren und Menschen zu bestimmten Handlungen zu bewegen. Dazu bedient man sich häufig bestimmter Metaphern: Diese verbinden abstrakte Ideen mit körperlichen Erfahrungen und machen die Botschaft begreifbar.
Ein paar Beispiele:
Sie können nicht neutral einfach nur Fakten kommunizieren. Machen Sie sich bewusst: Framing ist ein machtvolles Instrument, um Menschen zu beeinflussen. Überlegen Sie deshalb immer, in welchem Kontext Ihre Fakten interpretiert werden (können) und welche Gefühle und Deutungsrahmen Sie mit den Wörtern, die Sie verwenden, aufrufen.
Was ist Ihr „Lieblingsframe“, auf den Sie immer wieder stoßen? Bei welchen Themen fragen Sie sich häufig, warum andere Menschen nicht sehen, was Sie sehen? Finden Sie heraus, welche Deutungsrahmen in der Debatte darum aufgerufen werden – und wie diese die Sichtweise beeinflussen.
Herzlichst,
Franziska Nauck und Nadja Buoyardane