Gendern, also beide Geschlechter im Text gleichberechtigt anzusprechen, das ist so ein Bauchschmerzthema. Eine klare Positionierung fällt mir schwer. Nicht theoretisch, aber in der praktischen Umsetzung.
Es gibt wirklich gute Argumente fürs Gendern: Frauen und Mädchen sollen sichtbarer werden in unserer männlich dominierten Sprache. Denn, und das kann niemand ernsthaft in Frage stellen, unser Sprachgebrauch prägt unsere Weltsicht. Solange wir also nur von Chirurgen, Piloten und Bundeskanzlern sprechen, werden wir uns dazu auch jeweils nur Männer vorstellen.
Frauen „mitzumeinen“ funktioniert psychologisch einfach nicht. Also aus Autorensicht vielleicht, aber nicht bei den Adressatinnen. Ich jedenfalls fühle mich nicht automatisch mitgemeint, wenn von Bürgern oder Wählern die Rede ist. Gendern ist also ein wichtiges Instrument, um der Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der Sprache – und damit auch in der Welt – ein Stück näher zu kommen.
Angesichts dieser Effekte bin ich ein großer Fan des Genderns. Absolut überzeugt, und überhaupt …
… Wäre da nicht die Praxis des Schreibens. Und wäre da nicht mein ästhetischer Anspruch an eine Sprache, die lesefreundlich, klar und möglichst einfach aufgebaut sein soll. Bei jedem Text kämpfe ich mit mir, hadere, überlege, wie soll ich es machen, ohne dass die Lesenden sich das Gehirn verknoten oder schlicht ermüden beim Lesen.
Ich denke da erst einmal an alle Doppelformen (Bürgerinnen und Bürger), Schrägstrichvarianten (Bürger/innen), Binnen-I’s (BürgerInnen) und Sternchen-Schreibweisen (Bürger*innen), in der konsequent durchgezogenen Form. In Verwaltungstexten finde ich diese Formen völlig angemessen, im Hochschulkontext sind sie geläufig – da gilt auf jeden Fall: Gerechtigkeit geht vor Ästhetik. Das liegt vielleicht auch daran, dass wir von Texten aus diesen Sphären ästhetisch häufig nicht allzu viel erwarten. Sondern hier geht es in erster Linie um sachliche Richtigkeit.
Aber auf meiner Webseite? Im Blogartikel? In meinen Seminarkonzepten und Angeboten? Da kann ich doch nicht durchgängig mit Doppelformen arbeiten! Trotzdem möchte ich mit meiner Sprache einen Beitrag zu mehr Gendergerechtigkeit leisten! Wie also lässt sich beides verbinden: geschlechtergerechte Sprache und lesbare, elegante, schöne Sprache?
Mich überzeugt dazu ein Zitat aus einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung zu einem Urteil des BGH. Dieser hat am 13. März 2018 der Klage der 80-jährigen Marlies Krämer widersprochen, die seit Jahren für die weibliche Form in Sparkassenvordrucken kämpft (vgl. SZ-Online vom 13.3.). Der Autor, Wolfgang Janisch, schlägt sich auf die Seite der Klägerin und schreibt:
Trotzdem ist die Konsequenz aus diesem Befund nicht ganz so leicht zu ziehen. Denn geschützt werden muss auch die Sprache, und zwar vor Verkomplizierung und Überfrachtung. Eine sture Doppelnennung der männlichen und weiblichen Form bei allen nur denkbaren Gelegenheiten hemmt den Sprachfluss und stört die Kommunikation. Deshalb ist hier kein Dogmatismus angezeigt, sondern ein intelligenter Gebrauch der Sprache, der traditionelle Prägungen aufbricht, ohne ihre Eleganz zu opfern. Das heißt zum Beispiel: mehr Mut, auch mal allein die weibliche Form einzusetzen.
Ja, genau! Immer mal die weibliche Form, also auch mal „die Leserin“ statt „der Leser“. Es ist nicht immer sehr leicht, das schlüssig umzusetzen. Gerade wenn wir in einem längeren Text männliche und weibliche Formen versuchen abzuwechseln, kann bei den Lesenden schon mal Verwirrung aufkommen. Aber vielleicht sollten wir dies öfter bewusst in Kauf nehmen, wenn wir etwas verändern wollen. Denn nur dieses Aufmerken, das Störende in der Wahrnehmung erlaubt ja, traditionelle Prägungen zu hinterfragen.
Dieser pragmatische, undogmatische Ansatz nimmt auch jenen den Wind aus den Segeln, die gern mit Konsequenz argumentieren, nach dem Motto: „Wenn man das ernst meint und konsequent durchführt, dann müsste man ja auch Fußgängerinnenampel und Lehrerinnengehalt sagen. Aber warum schwarz-weiß denken und nicht lieber bunt?
Diese Ganz-oder-gar-nicht-Haltung verhärtet nur die ideologischen Fronten, bringt uns aber in der Sache nicht weiter. Es geht darum, die Möglichkeiten bewusst zu machen und dann, ganz im Sinne von Demokratie, Kompromisse zu finden.
Zum Schluss eine kleine Aufgabe. Schauen Sie doch mal diesen Text durch und finden Sie Stellen, an denen ich eine der vier genannten Formen verwendet habe.
Wir freuen uns auf Ihre Kommentare (bitte ohne das Wort „Genderwahn“ darin)!