Schreiben heißt, Entscheidungen zu treffen. Das ist einer der Gründe, warum es so anstrengend ist.
Sich nicht entscheiden zu können, kann sogar zu einer Schreibhemmung führen. Wie bei einem unserer Freunde:
Kaum hat er begonnen zu schreiben, zweifelt er an jedem Satz, an jedem Wort. Überdenkt jeden einzelnen Schritt drei-, vier-, fünf-, nein, sechsmal und öfter. „Ich könnte damit beginnen. Oder lieber damit? Ich könnte auch damit beginnen. Soll ich dieses Wort verwenden oder lieber jenes? Oder vielleicht doch besser das erste?“
Weder gelingt es ihm, eine Gliederung im Vorfeld zu durchdenken, noch sie sich schreibend zu erarbeiten. Denn für eine Gliederung müsste er sich entscheiden, was zuerst kommt.
Anstatt einfach erst einmal etwas hinzuschreiben, grübelt er über jede einzelne seiner Formulierungen. Und formuliert um und um und um. Selbst wenn er weiß, es handelt sich um einen Rohtext, den er später überarbeiten kann.
Das Ergebnis: Er kommt nicht voran.
Was kann helfen?
Jeden Tag treffen wir zigtausende Entscheidungen. Ob wir aufstehen oder den Snooze-Button am Wecker drücken. Ob wir das blaue oder das rote Shirt anziehen und und und.
Jede einzelne dieser Entscheidungen kostet Kraft. Um Kraft zu sparen, haben wir viele Entscheidungen des alltäglichen Lebens automatisiert: So denken wir nicht mehr nach, ob wir uns morgens die Zähne putzen oder nicht; wir tun es einfach.
Doch beim Schreiben gibt es keine automatisierten Entscheidungen. Bis auf wenige standardisierte Texte müssen wir uns bei jedem Text aufs Neue entscheiden, was wir überhaupt hineinschreiben, was wir weglassen, wie wir von Punkt A zu B kommen, welches Wort wir an welcher Stelle wählen und welcher Argumentationsweg der beste ist.
Und genau dies überfordert manchmal beim Schreiben.
Sie kennen es vom Einkaufen: Je größer die Auswahl, umso schwerer die Entscheidung. Wenn Sie sich zwischen zwei Sorten Konfitüre entscheiden müssen, Erdbeere oder Aprikose, fällt Ihnen die Wahl wahrscheinlich noch relativ leicht.
Stehen Sie aber vor einem Regal mit dreißig Sorten Konfitüre verschiedenster Geschmacksrichtungen, beginnen Sie abzuwägen. Diese Konfitüre enthält nicht so viel Zucker, ist aber dafür teurer, jene kommt aus der Region, gibt es aber nicht in Himbeere. Und das Pflaumenmus ist zwar bio, schmeckt aber sicher nicht so gut wie zu Hause …
So ähnlich ist es beim Schreiben. Es gibt unzählige Möglichkeiten, ein Thema in einen Text zu packen: ausführlicher oder knapper, stringent und sachlich von vorn nach hinten oder als spannende Geschichte aufgebaut. Und auch bei den Formulierungen habe ich meistens viele verschiedene zur Auswahl.
Das Schwierige ist, dass Entscheidungen nicht nur auf einer Ebene, also zum Beispiel bei der Auswahl der Wörter, gefragt sind, sondern auf vielen verschiedenen Ebenen.
Die wichtigsten drei sind die Inhaltsebene – was wollen wir eigentlich alles in unseren Text packen?, die Strukturebene: wie lang soll der Text sein und wie möchte ich ihn aufbauen? und die Ebene der Formulierungen: Wie sage ich es am treffendsten?
Zwei Gründe: Erstens, weil wir wirklich SICHER sein wollen, die RICHTIGE Entscheidung zu treffen. Zweitens: Weil wir versuchen, uns auf allen Ebenen gleichzeitig fortzubewegen, also alle Entscheidungen parallel zu treffen.
Deshalb feilen viele von uns schon beim ersten Anlauf an den Formulierungen, immer mit dem Ziel: Die erste Textversion soll auch die letzte sein.
Stellen Sie sich Schreiben als eine Wanderung vor: An jeder Kreuzung müssen Sie sich entscheiden, in welche Richtung Sie weitergehen. Wenn Sie gleich nach der jeweils perfekten Formulierung suchen, dann ist das, als würden Sie aus Angst vor der falschen Richtung ein Stückchen in eine Richtung gehen, dann wieder umkehren, die nächste Richtung ausprobieren, wieder umkehren, dann die dritte Richtung ausprobieren und nie einen Weg wenigstens bis zur nächsten Kreuzung laufen.
So kommen Sie einfach nicht vom Fleck. Dieses Hin- und Herlaufen verbraucht nur Kraft, und führt keinen Schritt näher zum Ziel.
Das Problem: Unzählige Wege führen zum Ziel – und niemand kennt den richtigen im Voraus. – Im Gegensatz zur Rechenaufgabe, bei der ich das Ergebnis am Ende einfach abgleichen kann. – Beim Schreiben gibt es kein eindeutiges Richtig oder Falsch, und das verunsichert und lähmt uns.
Hierin liegt aber auch der Schlüssel, diese Lähmung zu vermeiden:
Treffen Sie Ihre Entscheidungen nacheinander.
Sie müssen, ja Sie sollen nicht alle Aspekte gleichzeitig berücksichtigen, denn genau das ist der Grund, warum Sie sich für keine Richtung entscheiden können, sondern auf der Stelle treten.
Deshalb: Entscheiden Sie eine Sache nach der anderen, in drei Schritten:
Schritt 1: Entscheiden Sie zuerst einmal, was überhaupt in Ihren Text rein soll, also den Inhalt, die Informationen, den Umfang.
Schritt 2: Je nachdem, wie Sie beim Schreiben ticken, entscheiden Sie (a) über die Struktur, also wie Sie von einem Punkt zum nächsten kommen, oder (b) Sie schreiben den Inhalt einfach mal ausformuliert runter und entscheiden anschließend über die Struktur.
Die Formulierungen betrachten Sie dabei unbedingt als vorläufig!
Schritt 3: Erst wenn Sie Ihre Entscheidungen zu Inhalt / Umfang und Struktur überdacht und festgezurrt haben, entscheiden Sie im dritten Schritt über die endgültigen Formulierungen. Dann stehen die Rahmenbedingungen fest und die Zahl der Möglichkeiten ist gar nicht mehr so groß.
Entscheiden Sie mutig – aber nacheinander! Viel Spaß beim Schreiben.
Herzlichst,
Nadja Buoyardane und Franziska Nauck