Immer wieder erzählen Seminarteilnehmer und Coachees, sie empfänden ihre Art zu schreiben als chaotisch. Sie würden mal hier ein Stückchen schreiben, dann dort, dann wieder hier und dann an einem ganz anderen Ort im Text weitermachen. Das sei bestimmt komplett falsch, höre ich mit besorgtem Unterton in ihrer Stimme.
Nein, ist es nicht. Denn erst mal vorab: Es gibt keine richtige oder falsche Strategie beim Schreiben – solange Sie am Ende zu einem nachvollziehbaren und verständlichen Text gelangen.
Doch in einer Welt, in der vor allem Struktur und Ordnung geschätzt werden, ist es fast natürlich, dass Menschen, die scheinbar nicht strukturiert vorgehen, das Gefühl haben, etwas falsch zu machen. Bekommen wir doch in der Schule vermittelt, ein Text sei von Anfang bis Ende an einem Stück durchzuschreiben.
Einen Text von Anfang bis Ende am Stück durchzuschreiben, ist jedoch nur eine Art, einen Text zu schreiben. Und nach meiner Erfahrung schreiben die wenigsten Menschen so. Viele schreiben zumindest den ersten Satz, die Einleitung zum Schluss.
Es gibt Menschen, die schreiben an mehreren Stellen gleichzeitig, folgen keiner linearen Abfolge, sondern schreiben immer dort, wo es ihnen gerade gefällt. Sie sind so genannte „Puzzler*innen“.
Puzzler können sowohl im Großen und Ganzen strukturschaffend als auch strukturfolgend schreiben (Strukturschaffer erarbeiten sich die Struktur ihres Textes nach und nach beim Schreiben, Strukturfolger erstellen sich vor dem Schreiben eine Gliederung). Entscheidend ist: Bei der eigentlichen Textarbeit schreiben sie nicht linear von vorne nach hinten, sondern dort, wo ihnen gerade etwas einfällt. Wie bei allen Schreibtypen hat es Vor- und Nachteile, so vorzugehen.
Ein ganz klarer Vorteil von Puzzlern: Sie folgen einfach dem Strom ihrer Gedanken und kommen so schnell ins Schreiben. Sie entwickeln keine Hemmungen, ins Schreiben zu kommen. Da sie oft mit den leichten Textstellen anfangen, beginnen sie niedrigschwellig und durchdringen ihren Text gedanklich von leicht zu schwer. Sie entwickeln Ideen beim Schreiben und gelangen so nach und nach zu ihrem Text. Tendenziell gehen Puzzler motivierter ans Schreiben heran, da sie immer dort schreiben, wo ihnen etwas einfällt.
Beim Puzzeln besteht aber auch die Gefahr, den Überblick zu verlieren (besonders falls Sie zudem Strukturschaffer*in sind). Vor allem bei großen Schreibprojekten kann es vorkommen, dass Inhalte doppelt und dreifach formuliert oder – umgekehrt – wichtige Punkte vergessen werden.
In einigen Fällen ist Puzzeln auch eine Vermeidungsstrategie, um sich um die schwierigeren Stellen zu drücken. Wenn Sie beim Puzzeln feststellen, dass Ihnen das so geht und sie deshalb keine tiefgründigen Gedanken ausformulieren, sollten Sie mit einer anderen Strategie gegensteuern: zum Beispiel indem Sie sich zwingen, die Passage, die Sie vermeiden, einmal linear herunterzuschreiben (eventuell in einem Freewriting) oder mehrere Versionen der Passage erarbeiten.
Ich selbst bin eine klassische Puzzlerin. Wenn Sie mich beim Schreiben dieses Artikels beobachtet hätten, hätten Sie gesehen, dass ich in kleinen, thematischen Häppchen schreibe. Je nachdem, was mir gerade einfällt. Da kann es dann passieren, dass ich mit einem Absatz beginne, der in der Mitte oder gar am Ende eines Textes steht. Bloß: Das ist mir halt zuerst eingefallen. Also habe ich es aufgeschrieben.
Auch schreibe ich immer wieder mal einzelne Sätze, die dann lange unverbunden herumstehen, bis sich von oben oder unten ein Absatz ergibt, zu dem dieser Satz dann der Anschluss oder die Fortsetzung ist. Ich schiebe zudem alles immer wieder hin und her – Copy und Paste sind eine der besten Erfindungen. Ich bin geneigt zu sagen: Ja, der Computer wurde für Puzzler erfunden.
Selbst wenn ich eine Gliederung vor dem Schreiben erstellt habe (was ich nur bei längeren Texten mache, denn zusätzlich bin ich überwiegend Strukturschafferin), schreibe ich nicht entlang dieser Struktur, sondern springe dorthin, wo mir gerade etwas einfällt.
Manchmal kann es natürlich passieren, dass ich einen ähnlichen Satz an mehreren Stellen geschrieben habe, weil ich noch nicht ganz genau weiß, wo der Gedanke am besten zu platzieren ist. Dies glätte ich dann beim Überarbeiten.
Falls Sie selbst kein Puzzler, keine Puzzlerin sind, so ist diese Schreibstrategie es wert, einmal ausprobiert zu werden. Warum? Weil Sie dort anfangen, wo Ihnen gerade etwas einfällt und Sie somit die Hemmung vor dem weißen Bildschirm schnell überwinden können. Also, was fällt Ihnen zu Ihrem Text ein? Fangen Sie einfach damit an, egal wo.