Wie wird innerhalb des Unternehmens vorhandenes Wissen aufbereitet und archiviert? Wird Schreiben rein zur Informationsvermittlung oder auch als Denkwerkzeug genutzt? Die Schreibkultur, die in einem Unternehmen herrscht, sagt viel über seine Innovationskraft aus.
Ein Faktor, der kaum bedacht wird, wenn es um die Innovationskraft eines Unternehmens geht, ist die Schreibkultur, die in diesem Unternehmen herrscht. Dabei begleiten Texte den Innovationsprozess von der Idee bis zur Marktreife: Berichte, Versuchsbeschreibungen, Dokumentationen, Forschungsanträge, Zulassungsanträge, E-Mails zwischen Kollegen, an Dienstleister, Kunden und viele Texte mehr.
Die Mehrheit dieser Texte dient der Dokumentation des Wissenstandes, zu Marketing- und Informationszwecken oder zum Beantragen weiterer Genehmigungen, Forschungsgelder oder Fördermittel. Der Schreibprozess ist dabei sehr produktorientiert: der Fokus liegt auf der Verwertbarkeit des Textes. Ziel ist es, möglichst schnell einen publizierbaren Text zu schreiben, der am besten im ersten Wurf gelingt. Denn Schreiben wird meist als das notwendige Übel nach der eigentlichen Forschungs- und Entwicklungsarbeit gesehen.
Das große Potenzial, das Schreiben für den Innovationsprozess in einem Unternehmen birgt, bleibt beim rein produktorientierten Schreiben jedoch ungenutzt. Denn bei den üblicherweise im Unternehmen geschriebenen Texten wird überwiegend bereits bekanntes Wissen wiedergegeben. Wer aber nur über das schreibt, was er schon weiß, beraubt sich der im wahrsten Sinne des Wortes Wissen schaffenden Kraft des Schreibens. Denn oftmals gewinnt man erst beim Schreiben ganz neue Erkenntnisse und Einblicke in ein Thema.
Vielleicht ist es Ihnen auch schon so gegangen: Sie haben über ein Thema geschrieben und während des Schreibens haben Sie auf einmal ganz neue Perspektiven entdeckt, zuvor unsichtbare Verbindungen gesehen, verstanden, wie einzelne Punkte miteinander verknüpft waren oder erkannt, welche blinden Flecken es noch gibt, über die es sich nachzudenken lohnt.
Es ist kein Zufall, dass unsere westliche Wissenschaft ohne die Kulturfähigkeit des Schreibens nicht denkbar wäre. Nicht nur, weil Texte dazu dienen, Wissen zu archivieren und zu verbreiten, sondern auch, weil beim Schreiben der Texte das neue Wissen überhaupt erst geschaffen wird.
Schreiben prägt unser Denken und unsere Fähigkeit zur Erkenntnis. Denn um die eigenen Gedanken in einen verständlichen Text bringen zu können, ist es notwendig, diese linear und logisch miteinander zu verknüpfen. Gleichzeitig muss man sich von den eigenen Gedanken distanzieren und diese mit dem Blick des Lesers betrachten können. Das ist keine angeborene Fähigkeit, sondern wird erst im Laufe der Jahre erlernt. Schreiben trainiert daher unsere kognitiven Fähigkeiten, hilft beim Konzentrieren und lässt uns ein Thema aus unterschiedlichen Richtungen durchdenken.
Und genau hier setzt der Nutzen für ein Unternehmen an: Indem man den Prozess des Nachdenkens durch das Schreiben verlangsamt und vertieft, werden mehr Ideen entwickelt und viele Entwicklungsschritte, Konsequenzen, Zusammenhänge und Hürden im Voraus bereits durchdacht und Lösungen dafür entwickelt.
Um Schreiben als Denkmittel im Unternehmen nutzen zu können, bedarf es keines großen Aufwands. Nur etwas Zeit und eine offene Schreibkultur, die nicht nur auf die sofortige Verwertbarkeit des Geschriebenen ausgerichtet ist. Beim „Schreibdenken“, wie es die Schreibberaterin Ulrike Scheuermann nennt, geht es nämlich nicht darum, ein verwertbares Produkt, einen publizierbaren Text zu schaffen. Schreibdenken dient zunächst einmal nur der eigenen Erkenntnis. Dabei entstehen „Hilfstexte“, auf deren Basis sich weiterarbeiten lässt. Wenn nun noch strukturiertes und konstruktives Feedback hinzukommt, können Sie so gut wie sicher sein, dass sich gute Ideen entwickeln werden, die das Potenzial für Innovationen bieten. Die Zeit, die ein Unternehmen also den Mitarbeitern*innen zum Schreiben und „Schreibdenken“ bietet, zahlt sich damit am Ende aus.
Dieser Artikel ist im Januar 2016 im Magazin „netzwerk“ des Genossenschaftsverbands erschienen. Das Magazin mit dem Original-Artikel auf Seite 26 können Sie auf der Seite des Genossenschaftverbands herunterladen.